BEZIEHUNGSMEDIZIN


Die Beziehungsmedizin, der ich mich in den letzten Jahren verstärkt widme, betrachtet bei Gesundheit und Krankheit das körperliche und seelische Geschehen unter der Perspektive der wesentlichen Bindungen eines Menschen. Die Qualität der bedeutendsten Paarbeziehung steht dabei im Zentrum. Alles spricht dafür, daß die Erfüllung oder Nicht-Erfüllung der zentralen Bindung den langfristig mächtigsten Faktor für Gesundbleiben und Erkranken darstellt. Gute und schlechte Beziehungen haben einen ununterbrochenen, sozusagen chronischen Einfluß, der über physiologische Veränderungen beispielsweise des Kreislaufsystems oder über psychoneuroimmunologische Prozesse schließlich auch körperliche Schädigungen bewirken kann. Die Medizin ist wegen ihrer Individualorientierung weitgehend blind für diesen Zusammenhang. Er lässt sich jedoch schon bei Tieren ermitteln - wie beispielsweise Dietrich von Holst an den monogamen eichhörnchenähnlichen Tupajas Südostasiens nachwies.

Drei Forscher leisteten in meinen Augen entscheidende Beiträge auf diesem Gebiet:

  • James Lynch, der nachwies, daß so gut wie alle Krankheiten bei Menschen, die allein leben, doppelt bis vierfach häufiger auftreten. Das für mich erstaunlichste und ermutigendste Ergebnis ist der indirekte Befund, daß trotz der globalen Krise der Partnerschaft Beziehungen im großen Durchschnitt einen günstigen Einfluß entfalten.


  • James Pennebaker, der von kleinen Gruppen bis zu ganzen Stadtpopulationen die immunstärkende und gesundheitsfördernde Wirkung des "Opening up", der Offenheit sich selbst und anderen gegenüber, entdeckte und damit die generelle Wirkung aller Gesprächspsychotherapien einschließlich der Psychoanalyse und der Selbsthilfegruppen sicherte.


  • Dean Ornish, der in eigenen Forschungen und wissenschaftlichen Recherchen jede Form der Zuwendung und Liebe als bedeutendes Heilmittel auch für den "Spender" ermittelte und daraus seine "revolutionäre Therapie" ableitet.

Für einen unmittelbaren Zugang zu dieser der üblichen Organmedizin ungewohnten Ätiologie sorgen heute am ehesten psychoneuroimmunologische Nachweise. So hat das Forscherehepaar Kiecolt-Glaser bereits den Einfluß der Beziehungsqualität auf Gesundheit und Krankheit nachgewiesen.

Der entscheidende gesundheitspolitische Schluß liegt darin, daß die Paarbeziehung und alle weiteren Bindungen - wie Freundschaften - nicht nur für die Lebensqualität, sondern auch für die seelische und körperliche Gesundheit verantwortlich sind und deshalb an erster Stelle entwickelt und gefördert werden müssen.



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© Célia M. Fatia. Markename dyalog, Logo und Texte auf dieser Internetseite www.dyalog.de     impressum