PAARLEBEN


Eine politische und persönliche Aufgabe höchster Priorität.

"Ich bin bis zur Unkenntlichkeit verheiratet", sagte eine Frau; ihr Mann fügte hinzu "und ich suche vergeblich die Frau, die ich vor zwanzig Jahren geheiratet habe."

Die Paarbeziehung ist trotz ihrer Intimität keinesfalls nur eine private, sondern eine eminent öffentliche Angelegenheit. Politik ist die Fortsetzung der Therapie mit anderen Mitteln, sagte Rudolf Virchow. Es geht um die zunehmenden gesellschaftlichen Belastungen der Partnerschaft. Die sich steigernden Scheidungsraten sind geradezu harmlos zu nennen gegenüber dem viel ernsteren Problem der Beziehungslosigkeit in der Beziehung. Das Paarsterben hat wie das Waldsterben schon seit langem eingesetzt und wird gleichermaßen verleugnet. Die Single-Revolution ist nur eines seiner Symptome. Das betrifft den Kern gesellschaftlicher Entwicklung, beispielsweise:

Politik:
In der Bewußtlosigkeit für die hohe Bedeutung der Paarbeziehung gründet ein kaum bemerktes Versäumnis politischen Handelns. Kurz gesagt ist ein glückliches oder unglückliches Zweierdasein das wichtigste Moment im Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft. Sie bestimmt die wirkliche, nämlich die seelische Lebensqualität. Doch wird für günstige Beziehungsbedingungen so gut wie nichts getan. Daß darüber hinaus die Gemeinschaftsfähigkeit von der Qualität der "Keimzelle Partnerschaft" abhängt, wird von niemandem bestritten, doch wird eben wegen der Bewußtlosigkeit gegenüber der Beziehung weder öffentlich noch privat genügend getan. Die Bundesregierung fordert eine Partnerschaftsoffensive wegen des trägen Vorankommens des Rollenwandels von Mann und Frau. Es fehlt jedoch an konkreten, politisch gestützten Initiativen.

Zukunftsfähigkeit:
Die Paarbeziehung bestimmt über die Elternschaft tiefgehend das Erleben und Verhalten der kommenden Generationen, also auch die politischen und gesellschaftlichen Einstellungen wie Solidarität, Toleranz und Dialogfähigkeit.

Ausbildung:
In der Schule würden angesichts der heutigen Kenntnisse zum Gelingen der Partnerschaft wenige Unterrichtsstunden genügen, um der verbreitetsten Volkskrankheit, dem Eheleiden, vorzubeugen.

Gesundheitswesen:
Die Medizin unterliegt wegen ihrer Individualorientierung dem Blackout des kaum zu überschätzenden Beziehungseinflusses auf Gesundheit und Krankheit. Der politische Leidensdruck, der allein etwas bewirken könnte, ist heute in den rapide steigenden Gesundheitskosten zu sehen. Sie dürften sich erheblich reduzieren, wenn die Paarqualität angemessene Beachtung fände - nicht nur wegen der kürzeren Lebenserwartung von Scheidungskindern. Nach Untersuchungen der Beziehungsmedizin ist die Beziehungsqualität der wichtigste Faktor für Gesundheit und Krankheit.


Die Dialogfähigkeit beginnt im Paarleben
Wo ansetzen? Der weltweite Befund der Sprachlosigkeit (communication gap), in der Beziehung muß behoben werden durch die Förderung wesentlichen Sprechens, das neben der wechselseitigen Einfühlung als Grundlage jeder Bindung vor allem Autonomie und Selbstverantwortlichkeit entwickelt. In zwölf deutschen, schweizerischen und österreichischen Städten besteht die Partnerschaftsoffensive in der professionellen Ermutigung und Befähigung zur Selbstentwicklung der Paare mittels wesentlicher Dialoge, das heißt einer regelmäßigen Gesprächsform von neunzig Minuten pro Woche, die nicht zur fruchtlosen Kreisdiskutiererei verkommt. Diese Zwiegesprächsnetze stellen einen dritten Weg neben Expertentum und reiner Selbsthilfe dar und wirken weit über die Zweierbeziehung in das persönliche, berufliche und gesellschaftliche Leben hinein.




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© Célia M. Fatia. Markename dyalog, Logo und Texte auf dieser Internetseite www.dyalog.de     impressum