QUINTETT DER FINSTERNIS


Merkmalsdiagnose des modernen Paarsterbens

1. Die Bewußtlosigkeit in der Beziehung
Selten wissen wir wirklich, daß wir uns unserer Beziehung zuwenden müssen, um sie aufrechtzuerhalten. Es gibt keinen Überblick über die Beziehung, ja nicht einmal das innere Empfinden, daß man für sie etwas tun muß. "Ich weiß nicht, dass ich nichts weiß.", tröstet uns witzig unsere Inkompetenz. Wir leben in Beziehungen bewußtlos wie die Kinder, aber die Beziehung leben wir nicht. Diese allgemeine Narkotisierung bedingt natürlich auch die politische und persönliche Handlungsunfähigkeit.

2. Die Ahnungslosigkeit in der Beziehung
Tauchen Paare aus der Bewußtlosigkeit auf (meistens durch ein Leiden an der Beziehung, durch eine Störung), dann wissen sie nicht, was sie zur Behebung dieser Störung tun sollen. Sie haben nirgends ein Vorbild, nirgends eine Vorstellung, wie eine gute Beziehung aussehen könnte, und wie man ein Störmoment, beispielsweise ständige Gereiztheit, Krach, Langeweile und erotische Einöde, angehen und beheben soll. Das Erkennen eigener Chancen bleibt ganz auf der Strecke.

3. Die Beziehungslosigkeit in der Beziehung
Paare, die zu wenig zusammen sind oder zu wenig kommunizieren, entwickeln eine Beziehungslosigkeit in der Beziehung, die um ein Vielfaches bedrohlicher ist als Scheidung oder Trennung, selbst wenn sie manchmal jahrzehntelang verschleppt worden ist. Es gibt kreative Scheidungen, weil beide Partner in einer neuen "Kombination der Lebensgeschichten" glücklicher werden. Hingegen ist die beziehungslose Beziehung bestenfalls ein glattes Nebeneinander statt eines lebendigen Miteinanders. Die Paare geraten dahin, weil sie in der Regel zu wenig wesentlich miteinander sprechen. Das Paarsterben findet hier innerhalb der bestehenden Partnerschaft seinen stärksten Ausdruck.

4. Die Sprachlosigkeit in der Beziehung, Communication gap
Die "Kommunikationskluft" ist weltweit gesichert. Paare sprechen zu wenig wesentlich miteinander. Das heißt konkret: Sie tauschen ihr Erleben zu wenig aus. Ein durchschnittliches amerikanisches Paar widmet sich einem wechselseitigen Gespräch heute pro Tag nur noch vier Minuten, ein deutsches zwei Minuten. Davon kann keine Beziehung leben. Die einfachsten Konflikte können nicht geklärt werden, die einfachsten Empfindungen werden nicht mehr geteilt. Trauer, Enttäuschung und entsprechende Zornmengen sammeln sich unterschwellig auf dem Boden der Beziehung als Symptome einer unerledigten Aufgabe, eines nicht gelösten Konfliktes. Damit entstehen über Jahre Verbitterung und wechselseitige Entfremdung bis zum Doppelsingledasein..

5. Die Lustlosigkeit in der Beziehung, Ent-Erotisierung
Wenn in dieser Minutenbeziehung der Zeitmangelmenschen nichts besprochen werden kann, wird die beste Erotik unter der Last von Unerledigtem, Gereiztem und Resigniertem erstickt. Weltweit ist die Lust am Abnehmen. Konkret machen Paare weniger Liebe. Auch der Glaube an die große Liebe nimmt von Jahrzehnt von Jahrzehnt ab.


Die Sammlung dieser Dimensionen gleicht einem Beleg für Freuds Bemerkungen in "Die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens" "So müsste man sich denn vielleicht mit dem Gedanken befreunden, daß eine Ausgleichung der Ansprüche des Sexualtriebes mit den Anforderungen der Kultur überhaupt nicht möglich ist, daß Verzicht und Leiden sowie in weitester Ferne die Gefahr des Erlöschens des Menschengeschlechtes infolge seiner Kulturentwicklung nicht abgewendet werden können." (Freud, 1912, 90)




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© Célia M. Fatia. Markename dyalog, Logo und Texte auf dieser Internetseite www.dyalog.de     impressum